Das einzige Unternehmen, was mich zum Vorstellungstermin bat, suchte einen kaufmännischen Mitarbeiter im Lagerbetrieb in Bochum. Tja, also fing ich dort 1991 an. Im Grunde für einen Appel und ein Ei, aber ich war ja froh, überhaupt eine Arbeit bekommen zu haben. In der Hierarchie war ich der letzte Arsch. Aber das hat mich nicht gejuckt. Ich stand am Ende eines Packbandes, auf das die Packer die fertigen Versandpakete stellten. Mein Job bestand darin, die Paket von dem Band zu nehmen, sie zu wiegen und dann am Computer einen Lieferschein und Rechnung zu generieren. Außerdem mußte ich die Versandaufkleber ausdrucken und am Paket anbringen. Danach wurden die Pakete auf Paletten gestapelt und für die Abholung bereitgestellt. Wenn man bedenkt, daß solche Pakete teilweise Gewichte bis zu 60 kg darstellten, war das schon ein recht großer Knochenjob. Wir teilten uns diesen Job mit zwei Mann und mein Kollege war das letzte Arschloch. Da wir auch gleichzeitig die letzte Kontrollinstanz dafür waren, ob die Packer alles richtig gemacht haben, leitete sich dadurch so eine Art Über- und Unterordnungsverhältnis ab. Wir waren den Packern gegenüber weisungsbefugt und dieses kleine Arschloch von Kollege ( er war vielleicht so etwas mehr als ein laufender Meter ) meinte doch tatsächlich, deshalb sei er was besseres und ließ keine Gelegenheit aus, die armen Schweine zu knechten. Wenn er keinen Bock darauf hatte, die Pakete selber auf Paletten zu stellen, zitierte er eben einen der Packer zu sich und ließ ihn die Knochenarbeit machen. Oder wenn er feststellte, daß ein Packer vergessen hatte, den Unterboden des Paketes richtig zu sichern, hat er den Inhalt des Paketes einfach auf den Boden stürzen lassen und den Packer dann mit wichtiger Gestik zu sich gerufen und ihn dann zur Sau gemacht. Das hat mich angewidert. Es entspricht meinem Bild, das ich von Menschen generell habe. Gib jemandem ein kleines Stückchen Macht und er wird keine Gelegenheit auslassen, seine eigenen Unzulänglichkeiten damit zu kompensieren. Ich solidarisierte mich mit den Packern und fortan herrschte Krieg zwischen meinem Kollegen und mir. Später wurde er in eine andere Abteilung versetzt, was ihn fürchterlich sauer werden ließ, da er meinte, daß diese Abteilung so gut wie seine wäre, da er doch schon so viel länger als ich auf dieser Position gearbeitet hat. Das allerschärfste jedoch war, daß dieses kleine Arschloch früher selbst am Packtisch gestanden hatte und erst später "aufgestiegen" ist. Als er nicht mehr in meinem Dunstkreis war, ging es mir noch wesentlich besser. Ich mußte meine 8 Stunden arbeiten und dann war Ende und ich hatte wieder mein Privatleben. Das hatte für mich immer absolute Priorität. Niemals wollte ich mein Privatleben oder auch meine Beziehung für einen Job zurückstehen lassen. Arbeit ist ein notwendiges Übel, mehr nicht. Arbeit hatte für mich niemals die Bedeutung, mich wertvoll fühlen zu lassen oder Selbstbestätigung aus ihr zu saugen. So wie ein Auto für mich nichts weiter ist als ein Fortbewegungsmittel, so ist die Notwendigkeit der Arbeit durch nichts anderes definiert als durch die Entlohnung. So gesehen habe ich es also für mich recht gut getroffen. Es war mir egal, daß jeder in meinem Umfeld meinte, ich würde meine Qualitäten und Qualifikationen verschleudern. Ich wollte nie Karriere machen, denn ich wollte nie den Preis dafür bezahlen müssen. Tja, dummerweise wurde ich in diesem Job sehr schnell als jemand ausgemacht, den man aufgrund seiner Flexibilität und recht rascher Auffassungsgabe wunderbar als Springer einsetzen konnte. So machte ich die Urlaubsvertretung für die rechte Hand des Lagerleiters und wurde in immer neue Abteilungen gesteckt. Der Lagerleiter war äußerst angetan von mir und schien es sich auf seine Fahne geschrieben zu haben, mich zu pushen. Die Firma ging 1993 den Bach runter und wir wurden von einer Firma übernommen, die in der Computerhardware tätig war. Na ja, natürlich nicht alle. Aber ich war dabei und wurde mit der Leitung der Abteilung Wareneingang betraut. Nun mußte ich schon ein paar Männeken delegieren und das war für mich absolut gewöhnungsbedürftig. Ich war immer schon eine Art Einzelkämpfer und nun mußte ich also den Kopf hinhalten für die Arbeit anderer. Das fiel mir sehr schwer. Zumal ich im Grunde meines Herzens fast harmoniesüchtig bin und Auseinandersetzungen nicht gut ertragen kann. Nichtsdestotrotz gehe ich aber auch keinem Konflikt aus dem Weg, so er denn nötig ist. Ich scheine aber einen guten Weg gefunden zu haben, Leistungsfähigkeit und Menschlichkeit zu kombinieren, denn ich war sowohl bei meinen Mitarbeitern beliebt als auch von der Geschäftsleitung respektiert. Diese Firma kollabierte ebenfalls und wir wurden 1994 von einer Firma geschluckt, die in der Computerperipherie tätig war. Mein neuer Arbeitgeber baute unsere Betriebsstätte zu seinem Zentrallager aus und ich erhielt neben der Abteilung Wareneingang noch die Leitung der Abteilungen Retouren, Qualitätssicherung und Konfektionierung. Nun hatte ich eine Vielzahl von Mitarbeitern zu disponieren und jede Menge Streß am Hals. Trotzdem verbog ich mich nicht und weigerte mich standhaft, Verpflichtungen nachzukommen, die einen Einschnitt in mein Privatleben bedeutet hätte. Keine Geschäftsreisen, keine Abwesenheit vom Wohnort, übersichtliche Anzahl von Überstunden. Auch hier gelang mir die Gratwanderung erstaunlich gut. Ich war sicher gut in meinem Job, denn die positive Resonanz zog sich wieder von meinen Mitarbeitern bis zur Geschäftsleitung. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle mal erwähnen, daß bei mir am ausgeprägtesten mein Gerechtigkeitssinn ist. Aus diesem Grunde sah ich es auch als meine Verpflichtung an, für den Betriebsrat zu kandidieren. Trotz mahnender Worte meines Chefs und der Geschäftsleitung ließ ich mich in den Betriebsrat wählen.